„Thank you, Social Media, for sometimes filling the emptiness you’ve created in our lives.”
Ich muss zugeben, dass diese sarkastische Aussage nicht von mir stammt – leider. Es war ein Twitterpost an das NeinQuarterely, abgedruckt in der elften Ausgabe des HERO Modemagazins, welches sich u.a. mit dem Thema der Generation Y beschäftigte. Obwohl ich ein Digital Native bin, schließlich habe ich immerhin noch die allgemeine Einführung des Internets und all seiner positiven und negativen Errungenschaften direkt miterlebt, so unglaublich altmodisch bin ich doch. Werte wie Freiheit, Toleranz, Liebe, Freundschaft, Respekt, Einfachheit und Gleichheit, damit bin ich aufgewachsen, nach diesen Wertevorstellungen wurde ich erzogen. Mit dem technologischen Fortschritt der letzten 20 Jahre haben sich jedoch meiner Meinung nach die Bedeutungen dieser Werte grundlegend gewandelt. Ich bin Skeptiker, durch und durch – ich sehe immer die zwei Seiten der Medaille, das Positive und das Negative, wobei ich ehrlich sagen muss, dass mich unsere aktuelle gesellschaftliche Lage zutiefst schockiert. Die Anschläge von Paris sind nur ein tragischer Höhepunkt der letzten Ereignisse…
Die Technologie entwickelt sich stets und unaufhörlich weiter. Der Mensch kann da leider nicht mehr mithalten. Wir haben etwas erschaffen, das unser Leben revolutionierte, es hauptsächlich einfacher gestalten sollte. Aber wozu nutzen wir es denn, das Internet, das Smartphone, das Tablet? Im besten Fall zum banalen Zeitvertreib, zum notwendigen Kommunizieren, zum Austausch. Im schlimmsten Fall zur Abschottung, Verbreitung von Hass und dummen Ideologien oder zum Organisieren von Terror. Ich möchte gar nicht weiter pessimistisch klingen, das bin ich nämlich nicht. Ich bin eher ein pragmatischer Idealist.
Sherry Turkle’s These von „Alone Togehter“ mag durchaus einseitig sein, jedoch hält Sie unserer Gesellschaft und unserer Generation und Folgegenration absolut den Spiegel vor. Wir verlernen das direkte Kommunizieren miteinander und somit vor allem die Kunst der Konversation. Texten kann man viel wenn der Tag lang ist, dafür sind keine sozialen Kompetenzen nötig – für eine Konversation indes schon. Ein Beispiel: ein guter Freund von mir, ein Jahr älter als ich, angestellt als Service Desk Mitarbeiter bei der Telekom, arbeitet jeden Tag mit Twitter, Facebook und Co. Als ich vor einigen Monaten seit langem mal wieder zu ihm extra nach Bielefeld fuhr, wollten wir eigentlich einen entspannten Tag verbringen, einfach mal quatschen, was essen gehen…
Von der nervigen Tatsache abgesehen, dass er unzählige Male sein Smartphone in die Hand nahm, da es für keine Minute mal stillstand, war der traurige Scheitelpunkt im Tagesablauf, dass es im Restaurant keinen Internetempfang gab. Es war gleichzeitig ein sehr anstrengendes und unhöfliches Verhalten meines Freundes, welches ich nur mit einer großen Portion Zynismus ertragen konnte. Schließlich hat er mehr versucht mit nicht anwesenden Menschen zu kommunizieren als mit mir. Dabei musste ich mich zwangsläufig an mein erstes Handy erinnern, ein Nokia 3210 mit einem Cover zum Wechseln, welches ich 2001 nur unter der elterlichen Prämisse bekam, es lediglich für wichtige Anrufe und Nachrichten zu benutzten. Nach heutigen Maßstäben völlig unvorstellbar.
Ich denke, dass dieses Beispiel symptomatisch für unsere Zeit ist, für das veränderte, sehr naive Verhalten unserer Gesellschaft. Der verstorbene Philosoph Odo Marquard nannte diese Zeit, das „Zeitalter der Weltfremdheit“. Mit Ihm und Helmut Schmidt sind zwei weitere „große Denker“ unserer Gesellschaft von der globalen Landkarte der Intellektuellen verschwunden. Peter Sloterdijk ist eventuell noch einer der wenigen Verbliebenden, auch wenn er viele Thesen Marquards für sich einsetzt. Ihnen werden wohl auch keine mehr folgen, da wir unser heutiges Wissen, den vermeidlichen Intellekt woher beziehen? Klar, aus dem Internet. Alles was ich spontan wissen muss, kann ich immerhin sofort googlen. Der Archivierung sei Dank, doch sind wir so zu einer Instant-Gesellschaft mutiert. Alles muss simultan und extrem schnell passieren, damit man sofort reagieren kann. Multitasking ist zur Soft Skill Nummer Eins geworden, nur kann der Mensch eben doch nicht alles gleichzeitig. Es ist das Hier und Jetzt, das uns Menschen Sicherheit gibt und uns agieren lässt. Anders als noch in den 50er und 60er Jahren, birgt die Zukunft heute das Ungewisse, birgt Gefahren, an die wir erst gar nicht denken möchten. Wir sind, ganz nach Nietzsche, letztendlich zu Nihilisten geworden.
Ein Exkurs: ich komme aus der Mode – kaum ein anderes Kreativbusiness ist derzeit so sehr von dieser Schnelllebigkeit geprägt. Der intelligente Designer, der Visionär und Revolutionär, findet keinen Platz mehr in einer Welt, die von Gier, Profit, Marketingstrategien und Oberflächlichkeit geprägt ist, großflächig unterstützt durchs Social Media. Die Vorgabe: sechs Kollektionen im Jahr, jede bitte besser und moderner als die Letzte. Raf Simons (Dior), Alber Elbaz (Lanvin) und Alexander Wang (Balenciaga) lehnten sich dieses Jahr gegen dieses unsinnige System auf und kündigten, um sich um Ihre eigenen Labels besser kümmern zu können. Helmut Lang und Martin Margiela machten es schon vor Jahren so und wandten sich ab von einem System, das wie zuvor das Finanz- und Immobiliensystem, vor dem Abgrund steht und nur durch Entschleunigung reformiert werden kann.
Vielleicht ist Entschleunigung die Lösung? Marshall McLuhan prophezeite schon in den Siebzigern, einer Zeit des sozialen Umbruchs, den Aufstieg von globalen Netzwerken. Die Welt wurde zum Dorf. Wir denken nicht mehr lokal, inzwischen nicht mal mehr global, sondern sogar planetar. 1969 war es die Mondlandung, in einigen Jahren wird der Mars erobert. Die Frage nach der Notwendigkeit stellt witziger Weise niemand, lediglich nach der Ursache, und diese ist schließlich wieder ein negativer Aspekt unseres Umgangs mit dem eignem Planeten. Militärische Konflikte bedrohen mithilfe neuer Technologien zunehmend unseren Lebensraum und führen dazu, dass wir uns weiter in einem Teufelskreis bewegen, den wir selbst erschaffen haben.
Wir fliehen vor der Komplexität unserer Zeit mithilfe von Technologie, welche aber diese Komplexität unaufhörlich verursacht und fördert. Durch Technologie verlieren wir anscheinend unsere Orientierung im Leben. Insofern fand ich den Post im HERO Magazin doch recht adäquat. Betrachtet man Jean Baudrillard’s Visionen und Theorien, so zeichnet sich ab, dass aus unseren anfängliche Illusionen von einer besseren Welt doch nur letztlich Simulationen geworden sind. Unser soziales Leben findet in einer digitalen Cloud statt. Als Resultat dessen werden Viele immer weltfremder, naiver eben. Die einfachsten Dinge erscheinen uns so kompliziert. Die Frage, die sich nun wir Designer stellen müssen ist, wie wirkt sich das auf die Gestaltung aus?
Auf das Design, die Musik, die Kunst? Ich entdecke zunehmend die Übertragung unseres Wertewandels auf die Kreativwelt. Wir legen wieder Wert auf konservative Werte, und mit konservativ meine ich nostalgisch. Die erkämpften Werte der 68er Generation werden immer sichtbarer: die Auferstehung des Mini Cooper, die Wiederbelebung des Funk und Psychrock, das Retrodesign der Fantaflasche, die Story im neuen James Bond Film „Spectre“, das Revival der Schlaghose und des Plattenspielers, die Wiederbelebung der Star Wars Saga, der Star Trek Serie und der Tomb Raider Reihe… Alles schon mal da gewesen – Retro wird zur Ersatznostalgie und schafft so unmittelbar und simpel Vertrauen. Das einzig Neue ist die Kombination von verschiedenen Stilformen im Design – Juxtapositioning nennen wir das jetzt. Lediglich die Architektur und das Transportdesign richten, basierend auf der Technologie, ihre gestalterischen Blicke in die Zukunft. Wobei hier Zukunft eher für Futurismus steht.
Nachdem, so Paul Virilio, die Menschheit ihre Macht auf Maschinen übertragen hat, konzentrieren wir uns darauf einen persönlichen Fußabdruck auf dieser Erde hinterlassen zu wollen. Instagram und Facebook sei Dank. „Instant Sharing“, um noch jeden letzten Unbekannten am anderen Ende der Welt wissen zu lassen, was wir zum Abendessen hatten. Und da dies nun alles instant ist, leben wir doch scheinbar in einer ewigen Gegenwart. Soziale Weiterentwicklung? Fehlanzeige. Schließlich scheinen wir unserer Zeit hinterher zu rennen. Absurd, doch glasklar ist, dass wir inzwischen konsequent die Begriffe Zeit und Geschwindigkeit verwechseln bzw. psychisch und semantisch gleichsetzten. Jedoch ist es so, dass durch eine unglaublich hohe Rate an visuellen Wiederholungen unser Zeitgefühl enorm beschleunigt wird. So scheinen wir uns von unserer Zeit fortwährend zu entfremden, da wir sie schlicht und einfach nicht mehr nachvollziehen und wahrnehmen können – und so erleben wir eine Paradoxie in der Postmoderne, nämlich die ewige Gegenwart.
Meine These ist, dass sich mit einem wachsenden Fortschritt der Technologie, unsere Gesellschaft und unsere Kultur immer langsamer, vielleicht sogar zurückentwickelt. Sie wird sich weiter verlagern – von einer Cloud, vielleicht in eine Art Matrix, in der wir als Hybride aus humaner und künstlicher Intelligenz leben. Dann könnten wir dort das scheinbar perfekte Leben führen, welches uns im Realen momentan verwehrt bleibt. Das wäre meine einzige Vorstellung einer „Hypermoderne“, die noch ohne eine klare Definition auskommt. Und ob wir sie je erreichen steht buchstäblich in den Sternen, da unsere aktuelle Postmoderne scheinbar ein Zeitalter der kontemporär-sozialen Konzeptlosigkeit ist. Ich bin nicht gegen den technologischen Fortschritt und würde auch nicht Virilio in seiner These der „Fortschrittspropaganda“ voll zustimmen, da eine technische Evolution unserer Gesellschaft, wie schon erwähnt, ganz einfach nicht mehr aufzuhalten ist. Höchstens durch einen Super Gau im Ausmaß eines Sci-Fi Blockbusters à la Terminator, Total Recall oder The Book of Eli.
Es liegt einzig allein an uns Nutzern, endlich verantwortungsbewusster, nachhaltiger, kompetenter und sozialer mit unserer Technologie umzugehen. Denn sonst droht unserer Gesellschaft eine individuelle Isolation durch Technologie – sonst droht uns der Verlust unseres Bewusstseins in der ewigen Gegenwart als Illusion.