Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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“Outer space is a blank canvas” — Interview with Forty Two Magazine

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„Der Weltraum ist wie eine weiße Leinwand”

“Outer space is a blank canvas” — Interview with Forty Two Magazine

This is an excerpt from the complete interview. It can be found at Forty Two Magazine

Alan N. Shapiro ist gebürtiger Amerikaner, der in seiner Wahlheimat Deutschland als transdisziplinärer Theoretiker und Dozent Medientheorie und Science-Fiction an der Hochschule für Künste Bremen und der Hochschule Luzern in der Schweiz lehrt. Im Jahr 2004 veröffentlichte Shapiro sein Buch über die Fernsehserie Star Trek und trug so dazu bei, deren Bedeutung für unsere Kultur hervorzuheben.

Alan N. Shapiro is an American born, Germany based transdisciplinary theorist and lecturer teaching in the fields of media theory and science fiction studies at the Bremen University of the Arts, Germany, and the University of Applied Sciences in Lucerne, Switzerland. In 2004, Shapiro published his book on the TV series Star Trek, aiding to uplift its significance in our contemporary culture.

Abstract Interview

Wir alle leben Science-Fiction, und die Zukunft ist utopisch – zumindest könnte sie das sein, würden wir sie uns bloß richtig vorstellen? Im Gespräch mit 42 Magazine argumentiert der Science-Fiction-Experte Alan N. Shapiro dafür, dass wir verstehen müssen, dass Science-Fiction keine Zukunftsmusik ist und wir uns letztlich von der Idee verabschieden müssen, alles wissen zu können – besonders wenn wir den Blick hoch zu den Sternen und in die Zukunft richten.

We already live in science fiction and the future is utopian – or it could be, if only we imagined it the right way? In conversation with 42 Magazine, science fiction scholar Alan N. Shapiro makes his argument for understanding that science fiction is no matter of the future and for letting go of the idea that we already know it all – especially when we look up to the stars and into the future.

Quotes

“Der Weltraum ist wie eine leere Leinwand, wie die gespannte Fläche auf einem Rahmen, den Künstler nutzen”

“Science-Fiction handelt im Wesentlichen von der Gegenwart”

“Wir leben Science-Fiction”

“Fernsehserien sind die Literatur von heute” “Utopische Ideen wurden durch das historische Versagen der Linken ruiniert”

Wir können uns für eine Zukunft entscheiden, der wir uns mit unserer existentiellen Freiheit stellen”

Unser Unwissen ist das, was zählt”

“Outer space is a blank canvas, like the stretched surface across a frame that artists use”

“Science fiction is essentially about the present”

“We are living in science fiction”

“TV series are the literature of today”

“Utopian ideas were ruined by the historical failures of the Left”

“The future is a choice of ours that we face with our existential freedom”

“Our not-knowing is what matters”

Interview

42: Der Milliardär Yusaku Maezawa wird im Jahr 2023 Elon Musks geplante Reise zum Mond antreten und sagte, er wolle Künstler mit an Bord nehmen, um “uns alle wieder zu Träumern zu machen”. Was fasziniert uns so am Weltraum, dass er unsere Fantasie anregt?

AS: In meiner Wahrnehmung ist der Weltraum eine leere Leinwand, wie die gespannte Fläche auf einem Rahmen, den Künstler nutzen. Seit dem 18. Jahrhundert ist die westliche Kultur von Abenteuererzählungen fasziniert, erst von Robinson Crusoe und dann von Treasure Island. Diese Geschichten beginnen mit großen Ambitionen und enden mit dem bloßen Kampf ums Überleben.  Zum Beispiel war Star Trek eine eindeutige Übertragung des Schauplatzes von Wagon Train – einer erfolgreichen Western-Fernsehsendung – auf den Weltraum. Dies kann am besten erreicht werden, indem man sich eine tabula rasa-Situation vorstellt, wie die Ankunft einer außerirdischen Zivilisation, das Leben auf einem isolierten Raumschiff oder in einer Kolonie. Und der Weltraum wird mit der Zukunft assoziiert – über diese scheint Science-Fiction übrigens hauptsächlich zu spekulieren. Der Science-Fiction-Autor will oft eine soziale oder wirtschaftliche Utopie oder Dystopie erzeugen oder über das, was Foucault als Heterotopie bezeichnet hat, schreiben – eine Situation, die sich potenziell entweder zu einem Alptraum, einem negativen Szenario oder zu einer qualitativ besseren Welt entwickeln kann. Also sollten Maezawa und Musk lieber ein paar Literaturwissenschaftler statt Künstler mitnehmen.

42: So wie Sie?

AS: Nun, auch ich habe meine Fantasien über den Weltraum, aber wenn es darum geht, unser Wissen auf einen noch wenig erforschten Bereich auszudehnen, stellt sich die Frage, welche Fantasien wirklich wertvoll und originell sind und welche Fantasien sich aus alteingesessenen kapitalistischen Mythologien ableiten. Musk träumt von Wissenschaft und Geld und technologischen Anwendungen, die die Beherrschung der Natur vorantreiben, während in Wirklichkeit der Weltraum riesig und leer ist. Nur wenig von dem, was wir wissen, ist tatsächlich losgelöst von filmischen Erzählungen in der visuellen Kultur. Die Raumfahrt im wörtlichen Sinne ist eine Kombination von Hollywood-Filmen wie Der Stoff, aus dem die Helden sind, Apollo 13 und Aufbruch zum Mond. Die Heldentaten der Astronauten, die in diesen Filmen dargestellt werden, ähneln denen von Robinson Crusoe. Diese Erzählungen sind der Fiktion untergeordnet, sie sind ein Teil dessen.

Außerdem ist unsere Technologie den rauen Bedingungen und dem dort existierenden Widerstand nicht gewachsen: Tom Hanks schafft es in Apollo 13 beinahe nicht mehr zurück zur Erde, der Computer HAL von 2001: A Space Odyssey ist verrückt gewordene Technologie. Armstrong wäre in Wirklichkeit auf den Mond abgestürzt, wenn er nicht in letzter Sekunde erfinderisch gewesen wäre. Genau wie Robinson Crusoe überlebt der heldenhafte Astronaut in jeder Erzählung, indem er Ersatzteile aus einem Schiffswrack plündert und behelfsmäßig neu konfiguriert. Dadurch wird die vorherrschende techno-wissenschaftlich-kapitalistische Erzählung von großen Geldbeträgen, die in große Projekte zur Beherrschung der Natur investiert werden, sowohl verstärkt als auch ironisch kommentiert.

42: Das kapitalistische Narrativ, vom dem Sie hier sprechen, will nicht recht mit den utopischen Ideen zusammenpassen, die traditionell in der Science-Fiction thematisiert werden. Während wir hier auf der Erde mehr oder weniger feststecken, glauben Sie trotzdem, dass utopische Ideen im All mehr Raum bekommen, sich zu entwickeln?

AS: Utopische Ideen wurden durch das historische Versagen der Linken, das Versagen des Kommunismus und Sozialismus und den Verrat der Utopie durch Monster wie Lenin und Stalin ruiniert. Wenn die Idee von Utopie in unserer Geschichte ernsthaft wieder aufleben soll, muss es sich um eine anarchistische oder „autonome” Vorstellung von moralischer Technologie handeln, die wir sorgfältig entwerfen, um uns bei der Entwicklung einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft zu helfen. Sie sollte ein System entwerfen, das den amoralischen kapitalistischen und sozialistischen Menschen viel Macht und Besitz abnimmt. Das Problem ist, dass intelligente und moralisch denkende Menschen der Technologie oft eher skeptisch gegenüberstehen. Das ist verständlich, da sich Technik in den Händen von Ingenieuren und Geldmachern befindet und ihre Arbeit kritisch betrachtet werden sollte. Der symbolisch erhabene Weltraum der Science-Fiction-Vorstellung ist ein Ort, an dem die Geisteswissenschaften und künstlerische Ideen – welche man als utopische Ideen bezeichnen könnte – mit natur- und ingenieurwissenschaftlichen und technologischen Erkenntnissen wieder vereint werden können.

42: Welche Eigenschaften bräuchte eine solche „moralische Technologie“?

AS: Wir werden wissenschaftliche Medienplattformen brauchen, die gute ethische Werte für das Gesundheitsmanagement, die Bildung, die Lösung der Klimakrise, eine gegenseitig respektvolle politische Debatte und die Unterstützung von Missbrauchsopfern fördern. Wir müssen die Einzelheiten einer ausgeglichenen Beziehung zwischen menschlichen, von Moral gesteuerten Institutionen und künstlicher Intelligenz sorgfältig gestalten. Moral sollte in die „Wissenschaft” der Software eingebettet sein – umfassender als nur ein durch moralische Regeln geregelter Input und durch moralische Konsequenzen motivierter Output. Wie kann der KI eine gewisse Autonomie zugestanden werden, ohne ihr zu viel Macht zu geben? Man muss hier mit dem Gebrauch des Wortes „Wissenschaft” vorsichtig umgehen. Wissenschaftler haben ihre wissenschaftliche Arbeit fast immer als wertfrei angesehen und ihr moralisches oder politisches Engagement für Aktivitäten außerhalb ihrer täglichen Arbeit reserviert. Ich bin gegen einen solchen Dualismus. In meinem eigenen Entwurfsprojekt geht es darum, Pseudocode und Diagramme zu schreiben, welche die Machbarkeit menschlicher moralischer Institutionen demonstrieren und an denen Menschen demokratisch beteiligt sind. Diese interagieren auf Mikrodetailebenen mit Software-Agenten. Meine Vision eines Paradigmenwechsels in der Wissenschaft hin zu einer „science after science” wurde von Mr. Spock aus Star Trek inspiriert, der sehr oft sagt, dass die „vulkanische Wissenschaft” weit über die „primitive Erdwissenschaft” hinausgeht.

42: Da wir gerade von Star Trek sprechen: Sie haben die Seifenoper im All mal „einem großartigen Text westlicher Zivilisationen, der Bibel und den Texten von Shakespeare ähnlich“ genannt. Kritiker würden die Relevanz vielleicht eher im Eskapismus sehen. Warum halten Sie das Star Trek-Universum für besonders wertvoll?

AS: Ich habe das nicht bloß behauptet, sondern als Schlussfolgerung eines 500 Seiten langen Textes niedergeschrieben, der Geschichten aus dem Star Trek-Universum interpretiert. In der Vergangenheit haben Literaturwissenschaftler Romane, Theaterstücke, Gedichte, Epen und nur „avantgardistische” Science-Fiction-Filme interpretiert. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass Popkultur hochkulturelle literarische und philosophische Qualitäten haben kann. Mittlerweile wird dies allgemein als Tatsache akzeptiert, in Bezug auf Fernsehserien wie The Wire, Breaking Bad, Mad Men, Lost, Black Mirror und viele andere. Diese Fernsehserien sind die Literatur von heute. Die Unterscheidung zwischen Hochkultur und Massenkultur früherer kritischer Kulturtheoretiker wie Adorno und der Frankfurter Schule ist durch Fortschritt dekonstruiert worden. In meinem Star Trek-Projekt ging es auch darum, das literarische Verständnis für unser fortgeschrittenes technologisches Zeitalter zu aktualisieren, indem ich das literarische Objekt der akademischen Untersuchung ebenso wie das technologische Objekt der akademischen Untersuchung als nicht unterscheidbar oder eben verschmolzen betrachtete. In welcher Beziehung stehen Geschichten über Teleportation, künstliche Intelligenz, Replikatoren usw. zu Technologien oder Wissenschaften wie Beamen, KI und 3D-Druckern? Star Trek inspirierte ganze Generationen von Wissenschaftlern und Ingenieuren, an diesen technologischen Herausforderungen zu arbeiten. Auf der Grundlage des Prinzips der Quantenverschränkung haben experimentelle Physiker Photonen, Atome und Moleküle teleportiert. Auf der Grundlage von Data, dem Androiden von Raumschiff Enterprise. Das nächste Jahrhundert haben wir nun androide Nachrichtensprecher, soziale Roboter als persönliche Begleiter und den weltweit bekannten Roboter Sophia. Die in der Zukunft von Star Trek nicht mehr vorhandene Überflusswirtschaft beseitigt Armut und hat die Vision der additiven Herstellung einer ökologischen und nachhaltigen Beziehung zu physischen Materialien inspiriert. Diejenigen, die Star Trek also als „reinen Eskapismus” bezeichnen, wissen einfach nicht, wie man Texte liest. Dieselben Leute nannten eine digitale Online-Existenz ebenfalls Eskapismus, dabei war gerade diese Existenz  während des Coronavirus-Lockdowns  die einzige, die wir monatelang hatten.

42: Yusaku Maezawa, a billionaire who is to join Elon Musk’s planned journey to the moon in 2023, claimed that he wished to bring artists aboard “to inspire the dreamer in all of us“. What is it about outer space that triggers human imagination?

AS: I suppose that outer space is a blank canvas, like the stretched surface across a frame that artists use. Since the 18th century with Robinson Crusoe and the 19th century with Treasure Island, Western culture has been fascinated with the adventure narrative that starts with great technological ambitions and ends with the mere struggle for survival. Star Trek, for instance, was explicitly a transference of the setting of Wagon Train – a successful TV show of the “western” genre – to outer space and the stars. This can be done best by imagining a tabula rasa situation like an alien civilisation or an isolated spaceship or colony. And outer space is associated with the future – about which science fiction superficially appears to speculate. There, the science fiction author often wants to write about a social or economic utopia or dystopia or what Foucault called heterotopia, which is a situation that can potentially develop into either a nightmare, a negative scenario, or a qualitatively better world. You see, better than artists, Maezawa and Musk should bring along some literary scholars.

42: Like yourself?

AS: Well, I too have my own fantasies about outer space, but what we all need to reflect on – if we believe in extending knowledge to an area where little thinking has been done – is the question of which fantasies are truly valuable and original, and which fantasies derive from long-established capitalist mythologies. Musk dreams of science and money and their technological applications driving mastery over nature, when, in fact, outer space is vast and empty, and there is little reality of it separate from our cinematic visual culture narratives. Space travel in the literal sense is a subset of the system of Hollywood films like The Right StuffApollo 13, and First Man. The heroic astronaut’s acts depicted in these films are just like Robinson Crusoe. These narratives are a subset of fiction.

Plus, our technology is tiny compared to the harsh conditions and resistance which are out there: Tom Hanks nearly does not make it back to Earth in Apollo 13, the computer HAL in 2001: A Space Odyssey is technology gone nuts. Armstrong, in reality, would have crashed into the moon if not for last-second ingenuity. Just like Robinson Crusoe, the heroic astronaut survives in each narrative by scavenging spare parts from the shipwreck and reconfiguring them in makeshift ways that both amplify and make an ironic commentary on the dominant techno-scientific-capitalist narrative of big money invested into big projects for the mastery over nature.

42: The capitalist narrative you speak of seems to clash with the utopian ideas traditionally negotiated in science-fiction settings. While we seem to be stuck in our own ways here on Earth, would you say that utopian ideas generally flourish better in outer space?

AS: Utopian ideas were ruined by the historical failures of the Left, the failures of communism and socialism, the betrayals of utopia by monsters like Lenin and Stalin. If utopia is going to reappear in our history in a serious way, it has to be an anarchist or “autonomist” idea of moral technology which we carefully design to help us to manage a post-scarcity and ecologically sustainable economy. It should imagine a system that takes much power and ownership out of the hands of amoral capitalist and socialist humans. The problem is that intelligent and moral people are often rather sceptical of technology. This is understandable since technology has been in the hands of engineers and money-makers and their work should be regarded critically. The sublime symbolic outer space of the science fiction imagination is a place where we can reunite humanities and artistic ideas – what one might call utopian ideas – with natural science and engineering and technological knowledge.

42: Which features would have to be implemented into such a “moral technology”?

AS: We will need peer-to-peer media platforms that promote good ethical values for health management, education, solving the climate crisis, mutually respectful political debate, and support for victims of abuse. We need to carefully design the details of a mutual relationship between human morally steered institutions and artificial intelligence. Morality should be embedded in the “science” of the software, not merely moral rules as input and moral consequences as output. How can AI be granted some autonomy without giving it too much power? One must be careful here with the use of the word “science”. Scientists have almost always regarded their scientific work as being value-free and reserved their moral or political engagement for activities outside of their day job. I am against such a dualism. In my own design project, it is a question of writing pseudo-code and diagrams that demonstrate the feasibility of human moral institutions – in which humans democratically participate – interacting on micro levels of detail with software agents. My vision of a paradigm shift in science to “science after science” was inspired by Mr. Spock of Star Trek, who very often says that “Vulcan science” is way beyond “your primitive Earth science”.

42: Speaking of Star Trek: you once called the space opera “a great text of Western Civilization, similar to the Bible and Shakespeare”. Critics would possibly reduce its relevance to escapism. Why do you consider the Star Trek universe to be of such value?

AS: I did not say that as a mere assertion, but as the conclusion of writing about 500 pages interpreting the stories of Star Trek as literary scholars in the past have interpreted novels, plays, poetry, epics, and only “avant-garde” science fiction films. I merely pointed out that an expression that belongs to popular culture can have “high culture” literary and philosophical qualities. This is now universally accepted as true with respect to TV series like The WireBreaking BadMad MenLostBlack Mirror and many others. These TV series are the literature of today. The high culture versus mass culture distinction of earlier critical cultural theorists like Adorno and the Frankfurt School has been deconstructed by events. My Star Trek project was also about updating literary understanding for our advanced technological times by seeing the literary object of academic inquiry as well as the technological object of academic inquiry as indistinguishable or merged. What is the relationship of the stories about teleportation, artificial intelligence, replicators, etc. to the technologies or techno-sciences of beaming, AI, and 3D Printers? Star Trek inspired entire generations of scientists and engineers to work on these technological challenges. Based on the principle of quantum entanglement, experimental physicists have teleported photons, atoms, and molecules. Based on Data, the android of The Next Generation, we now have android newscasters, social robots as personal companions, and the global celebrity-robot Sophia. The Star Trek future post-scarcity economy eliminates poverty and it has inspired the additive manufacturing vision of an ecological and sustainable relationship to physical materials. Those who call Star Trek “pure escapism” simply don’t know how to read texts. The same people called online digital existence escapism, and, with the coronavirus lockdown, it was the only existence we have had for months.

Interview: Lara von Richthofen

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