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Philosophie, Science und Ökologie: Whitehead und Merleau-Ponty über den Begriff der Natur, von Alan N. Shapiro

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Philosophie, Science und Ökologie: Whitehead und Merleau-Ponty über den Begriff der Natur

von Alan N. Shapiro

Übersetzung: Florian Arnold

Vor etwa zehn Jahren begann ich mich intensiv für Kunstwerke und Kunstinstallationen zu interessieren, die Wissenschaften und Technologien in ihrer Konzeption und Ausführung mit einbezogen: Medienkunst, Electronic Art, Computerkunst, Videokunst, Bio Art, transgenic art, robotics art, telepresence art, ecosystems art und virtuelle Kunst. So kam es, dass ich einen Text lesen wollte, der mich mit philosophischen Erklärungen über die zeitgenössische Technikkunst versorgte. Ich durchstöberte die Publikationslisten nach einem englischen oder deutschen Buch, das einen fundierten ontologischen Ansatz vertreten würde. Doch ich konnte in diesem Genre kein brauchbares Material finden. Alle veröffentlichten Bücher in der deutsch- oder englischsprachigen Welt, die sich der Medienkunst oder der electronic art widmeten, waren entweder journalistisch oder curatorisch breit angelegte Überblickswerke. Schließlich stieß ich auf das Werk L’Erbario Tecnologico von Gianna Maria Gatti, das als eine Masterarbeit am Institut für Theater, Kunst und Musikstudien der Universität Bologna angefertigt worden war. Im Jahre 2010 überredete ich den AVINUS Verlag in Berlin, der zuvor mein medientheoretisches Buch über Star Trek publiziert hatte, sowohl eine Englische als auch ein Deutsche Übersetzung von Gattis Manuskript herauszugeben. Ich selbst übersetzte den Text aus dem Italienischen ins Englische und Dr. Helene Harth besorgte die deutsche Übersetzung. Anmerkungen wurden von mir ergänzt und der Anhang sowie die biographischen Referenzen erweitert. Während der Vorbereitung der englischen Ausgabe tauschte ich mich mit der Autorin Gianna Maria Gatti aus und kontaktierte auch viele der Künstler, deren Werke im Buch diskutiert wurden, um sie um eigene Beiträge in Form von Texten und Bildern zu bitten. Zuletzt verfasste ich auch ein Vorwort.

Die circa 25 von Giatti untersuchten Kunstwerke in Das Technologische Herbarium stehen im Dialog mit nahezu jedem Gebiet wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Künstler, deren Schaffen in ihrem Herbarium zusammengeführt wurden, haben sich mit em Thema Natur auseinandergesetzt, während sie zur gleichen Zeit mit Materialen neuer Technologien und Medien arbeiten. Interaktive, partizipatorische Werke und Environments laden die Nutzer dazu ein, ihre „Polysensualität“ zu entdecken. Der perzeptuell-motorisch-taktilen Dimension von Verkörperungen kommt das gleiche Gewicht zu, wie jener in der und von der traditionellen Kunst betonten symbolisch-rationalen Dimension. Der Künstler, der sich der Informationstechnologie bedient, gestaltet „eine halb-lebendige Entität, ein Werk, das tatsächliche ,offen‘ ist, da seine Auswirkungen vom Künstler nicht vorherbestimmt werden, sondern vielmehr durch Interventionen und Aktionen von Seiten des Nutzers realisiert werden.“ (Gianna Maria Gatti) Die „Erfahrung der Metamorphose“ einer virtuellen Realität sensibilisiert uns und steigert unser Bewusstsein für das Reale. „Das Virtuelle unterbreitet uns eine andere Erfahrung des Realen. Tatsächlich ist es ein gewöhnliches Verständnis von Realität, das in Frage gestellt werden muss. Denn virtuelle Realitäten sind nicht weniger real als sinnliche Erfahrungen, die wir auf „natürlichem“ Wege sammeln. Virtuelle Bilder sind keine visuellen Illusionen, bloße Bilder der Vorstellung. Im Gegenteil, diese ,virtuellen Wirklichkeiten können besichtigt, erkundet und sogar berührt werden.“ (Philippe Quéau)

Bei Gianna Maria Gattis Buch Das technologische Herbarium (im Italienischen untertitelt: Pflanzliche Natur und neue Technologien in er Kunst zwischen dem zweiten und dritten Jahrtausend) handelt es sich um eine Studie von transdisziplinären Kunstwerken, die das zunehmende Gewicht von Wissenschaft und Technik im künstlerischen Schaffen musterhaft erörtert. Ihre Arbeit verkörpert die Erfindung eines starken philosophischen Entwurfs, der uns gestattet, durch das Zusammenkommen von Natur und neuer Technologie im Bereich der Kunst, einen Blick auf ein neues Reales zu erhaschen. Dieser Hybrid aus Kunst und Techno-Wissenschaft ist der Überbringer einer neuen Weltsicht, neuen Erkenntnissen, eine neuen künstlerischen und gestalterischen Praxis, einer neuen kybernetischen Epistemologie und dem Heraufziehen eines authentischen post-metaphysischen Denkens, auf das bereits Philosophen des 20. Jahrhunderts, wie Martin Heidegger, Jacques Derrida und Gregory Bateson, hingedeutet haben.

Seitdem ich vor einigen Jahren mit dem Technologischen Herbarium Projekt beschäftigt habe, habe ich viel Zeit darauf verwendet, die Bücher des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) zu studieren. Früh in seiner akademischen Karriere war Merleau-Ponty ein klassischer, von Husserl beeinflusster und dem Existentialismus Jean-Paul Sartres nahestehender Phänomenologe. Dabei rückte er Themen in den Vordergrund, wie die Freiheit des menschlichen Subjekts, dessen Weltwahrnehmung und Handlungen in der Welt sowie in gewissem Sinne auch die tiefe Frustration des Subjekts, wenn es eine Welt an sich oder eine Welt, wie sie begriffen wird, konfrontieren muss, die seinem Wunsch nach Freiheit im Wege steht und ihn beschränkt. Gleichwohl entwickelte Merleau-Ponty gegen Ende seines Lebens eine philosophische Position, die sich deutlich von der Phänomenologie oder dem Existentialismus absetzt. Vollständigen Ausdruck verleiht dieser neuen Weltsicht Merleau-Pontys Werk Das Sichtbare und das Unsichtbare (zusammengestellt, herausgegeben und veröffentlicht von seinem Studenten Lefort nach Merleau-Pontys Tod). Ein wichtiger Text auf dem Weg zu diesem Hauptwerk ist das Buch Die Natur. Aufzeichnungen von Vorlesungen am College de France 1956-1960, das ebenfalls posthum und erst Jahrzehnte später, nämlich im Jahr 1995 veröffentlicht wurde. Der Begriff der Natur, wie er vom späten Merleau-Ponty herausarbeitet wird, steht für einen bedeutenden Aufbruch gegenüber der Phänomenologie und zwar auf dem Weg zur Philosophie eines „neuen Realen“, wie ich sie nennen möchte, oder einer „Ontologie des Fleisches der Welt“, wie es in Das Sichtbare und das Unsichtbare heißt. Polysensualität, Verkörperung, Immersion und Interaktion, technologische und Software-Entitäten als halb-lebendig Seiendes sowie hybride real-virtuelle Environments: Diese Modalitäten finden eine Denken, Körper und Geist vereinende Stütze in der Naturphilosophie der wenigen letzten Werke von Merleau-Pontys Oeuvre. Dabei war dieser französische Denker stark beeinflusst von einem 1920 veröffentlichten Buch Der Begriff der Natur des britischen Mathematikers und Philosophen Alfred North Whitehead. Der sowohl von Merleau-Ponty als auch Whitehead geteilte Begriff der Natur ist profund mit Blick auf seine Implikationen, wenn es darum geht, Transformationen der Wissenschaften und der Ökologie im 21. Jahrhundert zu begreifen.

In Der Begriff der Natur prescht Whitehead vor in Richtung einer Welt mit ihrer Spannung zwischen Knowledge und Non-Knowledge, anstatt die rückwärtige Richtung auf ein erkennendes Subjekt einzuschlagen. Er nennt dies „das Vorübergehen der Natur“, das sich allen Vermutungen einer „Bifurkation der Natur“ widersetzt. Es geht um eine Ebene der Realität, die zwar zur Natur gehört, doch durch die Naturwissenschaften weder erfasst noch erklärt werden kann. Es handelt sich um eine Dimension, die wir durch unsere Sinne erfahren können, um Qualitäten der Welt wie das Taktile wahrzunehmen. Weder die Natur noch das Denkende Subjekt sind dabei in command. Sie bezeichnen diejenige Realität eines Dinges, die dem wissenschaftlichen Verständnis des Westens entflieht, vergleichbar dem, was Merleau-Ponty das „Fleisch der Welt“ oder die „Ontologie des Fleisches“ nennt.

Gianna Maria Gatti lässt sich auf weitreichende Reflexionen über nicht-menschliche Lebensformen ein. Was ist die Identität von Lebewesen, die Andere sind im Vergleich zu menschlichen? Dieser Frage nachgehend, bilden ihre zwei Hauptuntersuchungsgegenstände das Reich der Pflanzen und das des künstlichen Leben. In einem einheitlichen Begriffsrahmen  betrachtet sie zwei Extreme: sowohl die uralten natürlichen Lebensformen als auch die jüngsten Formen des Lebens, wie sie von den avanciertesten Technologien der Gegenwart hervorgebracht werden. Auf der einen Seite: Bäume, Pflanzen und Blumen. Auf der anderen: die hervorbrechende Lebendigkeit von informatorischen, virtuellen und Software-Kreaturen. Gattis Forschungsarbeit ist eine profunde Reflexion nicht allein über den künstlerischen Pinselstrich unter Hinzuziehung von Computertechnologien, sondern gleichermaßen über die Biologie, einer tiefergehende Ökologie, das Existierende, den lebenden Organismus, letztlich das Leben selbst.

In ihrem Kapitel „Reale Pflanzen und neue Technologien“ untersucht Gatti Kunstwerke, die Aspekte dieser beiden „Reiche“ gegenüberstellen. Die Künstler fügen entweder Technologien in eine natürliche Umwelt ein oder positionieren Pflanzen zwischen speziell dafür gestalteten Gerätschaften. In ihrem Kapitel „Pflanzen und Biotechnologie“ wiederum berücksichtigt Gatti Kunstwerke, in denen die biologische Vorlage vollständig hervortritt. Die Künstler gebrauchen Informatiktechnologien, um Leben in digitales Sein zu übertragen. Diese un-lebendigen Kreaturen durchlaufen evolutionäre Prozesse und weisen Wachstumseigenschaften auf, die diejenigen von wirklich lebenden Organismen widerspiegeln. Indem Charakteristiken des Natürlichen mit unbeschränkten Möglichkeiten des Technologischen verbunden werden, ergeben sich Entitäten, die in einer wesentlichen Hinsicht tatsächlich lebendig sind. Gatti zieht derart beides zu Rate, sowohl die Gentechnologie als auch deren künstlerischen Parallelen einer transgenic und biotech art, die die gentechnologische Praxis oft auf kritische, ironische und parodistische Weise kommentieren.

BioArt ist ein Genre der zeitgenössischen Kunst im Bereich von „Kunst und Technik“, das einen Schwerpunkt meiner Interessen bildet. Dabei arbeiten die Künstler im Sinne der BioArt mit lebendigen Stoffen sowie Organismen, DNA-Kodes, Zellstrukturen und Bakterien. Mit ihren Kunstwerken kommentieren sie die Praxis des Klonens, der Genmanipulation sowie  Genfood und die Medizinindustrie. Zwei der bekanntesten Bio-Künstler sind Eduardo Kac und Joe Davis. Auch Sterlarc und Orlan werden zu den bedeutendsten Bio-Künstlern gezählt, doch in ihrem Fall kam es bereits zu reichlich kritischen Diskussionen bezüglich ihrer Werke, die vor allem auf eine aktive Transformation ihrer eigenen „mutierenden“ Körper abhoben. Über die BioArt-Bewegung im Ganzen sprechend, schreibt Eduardo Kac: „Das gemeinsame Element in all diesen Kunstwerken besteht darin, dass das Leben selbst zum Ausgangspunkt genommen wird, eher als seine Repräsentationen, seine Metaphern oder seine digitalen Simulationen. Alle diese Werke sind ,lebendige Objekte‘.“

Bereits in Der Begriff der Natur nähert sich Alfred North Whitehead auf transdisziplinäre Weise dem Begriff des Wissens, indem er dafür argumentiert, dass es bei der Wissenschaftsphilosophie um das Studieren der Relationen zwischen den verschiedenen Wissensdisziplinen geht. Der Hauptgegenstand der Naturwissenschaften ist vorgeblich die Natur, doch gibt es eine ganze Dimension der Natur, die von den Wissenschaft nicht erfasst werden kann. Wir müssen auch die Realität der menschlichen Sinne in Betracht ziehen, da die Natur dasjenige darstellt, was wir in der Sinneswahrnehmung beobachten. Die Wahrnehmung und das sinnliches Bewusstsein der Natur bezeichnen dabei gerade jene andere Domäne unserer Schnittstelle zur Natur. Sie sind nicht Teil der Wissenschaften. Aber „Wissenschaft“ im allgemeineren Sinne des deutschen Ausdrucks gegenüber dem englischen der „natural sciences“ ist mehr treffend.

Whitehead nennt die Natur, die wir vermittels unserer Sinne fühlen können „Ereignisse“. – Wie sich diese Ereignisse zum monodisziplinären Untersuchungsgegenstand des „Physischen“, das von Physikern definiert und studiert wird, verhalten, ist eine faszinierende Frage. Die Natur, wie Physiker sie skizzieren, ist nicht das einzige Objekt unserer Beobachtungen. Unsere Aufgabe besteht nicht allein darin, zu messen, sondern auch wahrzunehmen. Eine Erweiterung des Bewusstseins und der Sinne fördert eine erweiterte Wahrnehmung. Auch das Verhalten von Quanten ist eine Realität. Physiker dachten, dass sie diese Realität nicht beobachten oder messen könnten, ohne die darin enthaltende Quanten-Information zu zerstören. Doch der Raum, von dem aus man die Realität des Quanten-Verhaltens beobachten kann, ohne die enthaltende Quanten-Information zu zerstören, ist gleichermaßen eine Realität. Der Raum einer nicht-destruktiven Beobachtung existiert ebenso, wie das Quanten-Verhalten. Um diesen Raum wahrzunehmen, müssen wir jedoch unser Bewusstsein verändern. Dabei kann diese erweiterte Wahrnehmung sowohl eine kreative Mathematik und die hypermoderne Selbst-Dekonstruktion der klassischen Raumzeit-Mechanik enthalten als auch buddhistische und hinduistische Meditationen bzw. Ontologien sowie Flauberts Projekt, eine Novelle über das Nichts zu schreiben.

Jean Baudrillard hat behauptet, dass die Welt eine radikale Illusion sei – was soviel heißt, als dass die wichtige Denkerfahrung meines Nicht-Wissens, meines Nicht-Begreifens und meines Nicht-Verstehens eines Objekts, das ich betrachte oder mit dem ich interagiere, genau dasjenige ist, was die Realität der Welt erst formt und ermöglicht. Die Distanz der ästhetischen Vorstellung oder Einbildung – diese Betrachtung der Leere in der Leere – ist dasjenige, was durch die Kultur der Simulation, der Hyper-Realität und des informationellen Kodes überdeckt wird. Wir leben in einer postmodernen Kultur, in der man nach einer totalen Information über alles verlangt, und in der man nach einem perfekten Ebenbild sucht, das als Simulation jenes Objekt in der Welt ersetzt, von dem es angeblich nur ein Bild sein soll.

Whitehead erhebt Einspruch gegen die von ihm so genannte „Bifurkation der Natur“ in zwei separate Systeme der Realität durch die moderne Natur- und Geisteswissenschaft. Er stellt diese strikte Trennung in Frage. Unser menschliches, sinnliches Bewusstsein der Natur existiert auf der Grenze – es ist ein wichtiges Wissensgebiet und zugleich wesentlicher Teil des aufklärerischen Fortschritts. Es ist sowohl Philosophie als auch Spiritualität. Es gibt eine Natur, die vom Bewusstsein erfasst wird, und eine andere, die dieses Bewusstsein verursacht. „Das Vorübergehen der Natur,”  schreibt Whitehead,  ”das nur ein anderer Name für die Schöpfungskraft der Existenz ist, hat keinen engen Vorsprung einer definiten, augenblicklichen Gegenwart, in der man operieren könnte.“ Das Vorübergehen der Natur in ihrer eigenen Zeitlichkeit ist ein anderer Zeitsinn als die chronologische, linear tickende Zeit, wie sie durch das herrschende logische Narrativ etabliert wurde. Dieses Vorübergehen der Natur, um sich auf Whiteheads Konzept zu berufen, ermöglicht es uns, überhaupt Menschen zu sein.

In seinen universitären Vorlesungen über die Natur, kompiliert zu einem Buch, untersucht und kritisiert Merleau-Ponty das Konzept der Natur bei Aristoteles, Descartes und Kant. Besonders für Descartes, so Merleau-Ponty, „ist die Natur auf diese Weise zu einem Synonym der Existenz an sich geworden, ohne Orientierung, ohne Inneres.“ In seiner Philosophie behandelt Descartes Tiere und Pflanzen wie Automaten ohne irgendeine Innerlichkeit. Diese Perspektive führt unaufhaltsam zu einer Idee der Natur als eines Systems von Gesetzen und deren automatischer Funktion.

Sowohl für Whitehead als auch Merleau-Ponty hat die Kritik der klassischen Raumzeit in der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts durch Einsteins Relativitätstheorie, die Quantenphysik, die Chaostheorie, die nicht-euklidische Geometrie und Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz uns gelehrt, weitaus sorgfältiger die verborgenen Verbindungen zwischen entfernten Punkten im Raum und in der Zeit, weitaus sorgfältiger auch die Situation und das Involviertsein des Beobachters zu bedenken sowie eine vielgestaltige Raumzeit unter ontologischen Gesichtspunkten zu erkunden. Merleau-Ponty beschreibt auf interessanteste Weise den Unterschied zwischen der klassischen Geometrie Euklids und den nicht-euklidischen Geometrien des 20. Jahrhunderts: „Der euklidische Raum wird als eine Bedingung a priori unserer Wissenschaft und Erfahrung betrachtet. Die nicht-euklidische Geometrie macht durch eine Verallgemeinerung des Raumbegriffs den euklidischen Raum dagegen zu einem bloß besonderen Raum. [Der euklidische Raum] ist nicht der einzige Raum unter allen möglichen Räumen.“

Ich habe mit reger Anteilnahme die Arbeiten der slowenischen Bio-Künstlerin Polona Tratnik verfolgt. Tratniks Kunstwerke sind ein Dialog oder eine Kollaboration zwischen Kunst und Wissenschaft. Ihre künstlerischen Strategien verbinden sich technologisch-wissenschaftlichen Gebieten, wie der Immunologie, der Gewebezüchtung, der Biotechnologie, der Medizin und der plastischen Chirurgie. In ihrem Kunstwerk „Hair In Vitro“ (2010-11) entnimmt Tratnik dem menschlichen Körper ein Element, zum Beispiel Haare oder Zellstoffe, und versorgt sie mit den nötigen Lebensbedingungen, um unabhängig vom menschlichen Körper zu gedeihen. Haare zum Beispiel vermögen unter gegebenen Bedingungen ein Eigenleben zu entwickeln. Ihre Intention scheint darin zu bestehen, die Kluft zwischen dem menschlichen Körper und seiner Außenwelt zu verringern. „Wir haben bereits Gegenstände, die uns von jemandem gegeben worden sind, den wir lieben“, erklärte mir Tratnik in unserem Interview. „Wir verspüren die Präsenz einer anderen Person in unserem Apartment durch die Gegenstände, die sie uns hier zurückgelassen hat, oder wir verspüren ihren vorherigen Aufenthalt im Raum. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Durch Gewebezüchtungen kann man ein Stück von jemand anderem auf einem Tisch bei sich haben, direkt neben deinem Bett. Und dieses Element der anderen Person ist immer noch lebendig.“

 

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