Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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Über die Medientheorie, von Julia Krayer

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Neu war für mich die Erkenntnis, dass wir in der Zeit der Hypermoderne leben. Nicht weiter verwunderlich, ist dieser Begriff im Deutschen Sprachgebrauch nicht allzu gängig, selbst das deutsche Wikipedia liefert beim Eintrag „Hypermodern“ nur einen Artikel über eine Stilrichtung im Schach. Die Hypermoderne folgt zeitlich auf die Postmoderne, welche auf die Moderne folgte und zeichnet sich durch High Tech und das Paradigma des Codes aus. Deutlich wird das an der steigenden Wichtigkeit der DNA in Feldern, wie Biologie oder Kriminalistik. Programmiercodes sind weitere Vertreter dieses Paradigmas. Auf ihnen basiert ein riesiger Teil unseres alltäglichen Lebens und jeder wird sich an den grünen Code auf schwarzem Hintergrund erinnern, der im Film „Matrix“ dazu dient die vermeintliche Realität, die Matrix zu generieren, wenn auch dieses Bild das allgemeine Verständnis eines Programmierers stark falsch beeinflusst hat. Kein Programmierer sitzt vor einem Bildschirm über den kryptische Zeichen fliegen. Man sagt der Hypermoderne nach, dass ihr die großen Denker fehlen. Die Moderne hatte Kafka oder auch Marx mit der großen Erzählung des Kommunismus. In der Postmoderne fehlten dann die großen Erzählungen, aber es gab noch große Denker, wie Foucault oder Umberto Eco. Heute, in der Hypermoderne fehlt es uns an beidem, großen Erzählungen und großen Denkern, sind wir doch selbst kaum noch in der Lage lange Texte zu lesen. Selbst Artikel von Spiegel-Online, mit nicht einmal 700 Wörten, werden noch eben in 2 Sätze zusammengefasst, damit der gehetzte Smartphonenutzer bloß nicht zu viel lesen muss. So irren wir ahnungslos und desorientiert durch eine Welt, deren Situationen wir mit alten Ideen zu verstehen suchen. So zum Beispiel Paul Virilio, der Denker der Geschwindigkeit. Er warnt uns davor, dass die immer höhere Geschwindigkeit des Fortschritts auch immer schlimmere Unfälle verursacht. Als Beispiel nennt er Flugzeugunfälle, die heute weitaus schlimmere Folgen haben als in früheren Zeiten der Luftfahrt, Börsencrashs oder Finanzkrisen, die auf ein immer unkontrollierbareres Computersystem zurück zu führen sind. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls bei einem modernen Flugzeug jedoch um ein Vielfaches geringer, als bei Flugzeugen aus den Anfängen der Luftfahrt. Eine weitere Kritikerin unseres Fortschritts ist Sherry Turkle. Einst Verfechterin der neuen Medien, ist sie nun Kritikerin eben dieser. In „Alone together“ mahnt sie, dass wir durch die neue Art der Kommunikation über Smartphones, verlernen Konversationen zu führen. Als Beispiel zeigt sie fragmentarische Kommunikationen, die teils nur noch mit Abkürzungen geführt werden (eine neue Art von Code?) oder Bilder, wie ihre Tochter mit Freunden zusammen sitzt und dabei alle auf ihr Handy starren – alone together. Ich denke, dass sie hier teils sehr einseitig argumentiert. Es gab schon immer unterschiedliche Arten von Kommunikation und Konversation. Es gibt Smalltalk, kurze Erzählungen über den Tag, ernste Gespräche, Diskussionen, Streit und vieles mehr. Ich denke, dass auch in neuen Medien diese unterschiedlichen Varianten möglich sind, viel eher als zum Beispiel über Briefe. Ein kleines Beispiel: Als Kind habe ich mit meinen besten Freundinnen quasi Haus an Haus gewohnt. Wir haben alles voneinander mitbekommen, ist etwas lustiges oder spannendes passiert, konnte man kurz rüber laufen und es erzählen oder hat sie am nächsten Treffen, das höchstens einen Tag weit weg war, erzählt. Ist etwas passiert, während eine der Freundinnen in Urlaub war, so hat man es ihr meistens nicht mehr erzählt, danach passierten ja noch viele andere Dinge und es war vielleicht doch nicht so wichtig. So wurde es dann auch als wir nach und nach weg zogen. Nun sind wir verteilt auf Mainz, Hamburg und Duisburg. Passiert etwas lustiges, so erzählt man es den Freunden vor Ort oder dem Partner. Beim nächsten Treffen werden nur noch die wichtigen, großen Neuigkeiten geteilt. Whatsapp sei Dank sind wir wieder näher zusammen gerückt. Nun erfahren auch wir wieder voneinander kleine Geschehnisse des Alltags, man ist sich wieder näher. Und auch die „große“, „echte“ Konversation ist meiner Meinung nach mit neuen Medien möglich. So kann man zum Beispiel skypen, aber auch in Schriftform halte ich Konversationen, wie zum Beispiel Diskussionen für möglich und nicht weniger wertvoll. Sherry Turkle gibt das Negativbeispiel einer Frau, die mit ihrer Großmutter dank Skype wieder mehr Kontakt hat. Allerdings nutzt sie die Zeit der Skypekonversation um nebenher Emails zu schreiben. Möglich wäre aber auch eine Skypekonversation, die weniger Zeit dauert, aber dafür konzentriert ist. Früher hätte sie vielleicht mit ihrer Großmutter telefoniert und dabei Briefe geschrieben oder den Haushalt erledigt. Ich denke nicht, dass die neuen Medien an diesem Verhalten Schuld tragen. Schuld trägt immer der Benutzer der Medien. Wichtig ist, dass beide Seiten dabei bleiben, auch im echten Leben kann sich einer umdrehen und gehen oder während des Gesprächs in einer Zeitschrift blättern. Konversation funktioniert nur, wenn beide Seiten aktiv teilnehmen, ob schriftlich oder nicht. Es gibt auch Vorteile, so hat sich bestimmt jeder in einer heftigen Diskussion schon mal gewünscht etwas nicht gesagt zu haben. Schreibt man einen Text und liest ihn vor dem Abschicken noch ein Mal durch, so fällt vielleicht auf, dass Worte falsch gewählt wurden und man den anderen verletzen würde – es gibt die Möglichkeit zur Selbstreflektion. Ein anderes Phänomen, das Sherry Turkle kritisch erwähnt ist eine Roboter-Robbe, die in der Behandlung mit Menschen eingesetzt wird, bei denen Kommunikation sehr schwer fällt, beispielsweise Demenzpatienten. Oft verweigern sich sich anderen Menschen und es ist sehr schwer mit ihnen zu kommunizieren. Die Roboterrobbe ist so konzipiert, dass sie das Kindchenschema erfüllt, auf Licht und Geräusche reagiert, niedliche Fiepslaute von sich gibt und beruhigend wirkt. Sie kann überall da zum Einsatz kommen, wo sonst Tiere helfen könnten, aber nicht erlaubt sind oder Allergien bestehen. In Deutschland ist, meines Wissens nach, bei der Behandlung stets ein Betreuer anwesend und die Patienten werden mit dem Roboter nicht allein gelassen. Drückt man Patienten diese Robbe einfach nur als Ersatz für soziale Kontakte in die Hand, so bin ich Sherry Turkles Meinung, denke aber auch, dass dieser speziell auf diese Aufgabe ausgerichtete Roboter helfen kann, wenn er als erweiterndes Element in einer Behandlung eingesetzt wird. Der Roboter ist nicht nur der Robbe nachempfunden und imitiert sie, sondern ist speziell für seine Aufgabe kreiert, ist also ein neues reales Objekt, eine Simulation, bei der Realität und Fiktion verschwimmen. Quasi eine Kopie ohne echtes Vorbild, ein Simulakrum. Beaudrillard sagt, wir leben in einer Epoche der Simulakra der Simulation. Er sieht die Entwicklung der Medien mit dem Fernseher und noch stärker, mit dem Computer, dafür verantwortlich. Laut ihm gibt es drei Epochen, drei Stadien der Simulakra. Die Imitation, die Produktion und die Simulation. Ich verstehe dies so, am Beispiel eines Baumes erklärt, dass die Malerei eines Baumes, die sich jemand ins Zimmer hängt, die Imitation eines Baumes ist. Als nächste Stufe werden künstliche Bäume produziert. In der Simulation, der aktuellen Stufe, laufen wir in Computerspielen durch ganze Wälder, die uns in diesem Moment real erscheinen, obwohl sie keine Bezug mehr zur Realität haben. So lautet Beaudrillards Definition von Simulation, dass in einer Simulation die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwinden. Er nennt hierfür verschiedene Beispiele. Täuscht jemand vor krank zu sein, so imitiert er. Simuliert er krank zu sein, so zeigt er echte Symptome, Ärzte könnten beispielsweise nicht sagen ob er wirklich krank ist oder nicht. Als weiteres Beispiel nennt er einen simulierten Banküberfall. Selbst wenn man unechte Waffen nimmt, so wird es unweigerlich einen Moment geben, an dem die Realität einen einholt, sei es der Bankangestelle, der echtes Geld ausgibt oder der Polizist, der einen erschießt. Wir leben heute in einer Welt von Simulacra, von Kopien ohne Original, in der Dinge simuliert werden, die dann zu unserer Realität werden. So sind World of Warcraft oder Second Life Welten, die für die Spieler zumindest zeitweise zur Realität werden. Ihre Gefühle, wie Wut über nicht erreichte Ziele oder Freude über gefundene Schätze, sind echt, die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Einen Schritt weiter gehen vielleicht noch Drohnenpiloten. Sie sehen eine virtuelle Welt, durch welche sie scheinbar fliegen, ihre Gefühle während sie die Drohne steuern sind real und auch ihr Handeln in dieser virtuellen Welt hat reale Folgen. Verschwimmt diese Grenze zwischen Realität und Repräsentation weiter, so ist es möglich, dass Medien das öffentliche Leben vollständig ersetzen. Virtuelle Realitäten sind ein großer Schritt auf diesem Weg. Filme, wie „Surrogates“ oder „Gamer“ liefern uns mögliche Ausblicke in so eine Welt. In Surrogates gehen Menschen kaum noch selbst auf die Straße, sondern steuern von zu Hause aus ihren „Surrogate“, einen humanoiden Roboter, der ihnen nachempfunden wurde. In „Gamer“ wird ein Teil der Menschheit selbst zu Spielfiguren. Sie werden dafür bezahlt, dass sie sich mittels Nanobots in ihrem Körper von anderen Menschen wie Spielfiguren in einem Computerspiel in einer scheinbar virtuellen Welt steuern lassen. Diese Spieler, die in der „realen“ Welt sitzen, zahlen dafür, dass sie die „Spielfiguren“ steuern können. Es ist quasi eine Erweiterung heute bekannter Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (mmorpg). Ich verstehe die Bedenken von Paul Virilio und Sherry Turkle, dass Fortschritt und neue Medien Gefahren von Unfällen und Entfremdung mit sich bringen. Doch waren auch schon die Menschen des 19. Jahrhunderts in Sorge vor der Veränderung, die durch die Dampflokomotive entsteht. Sherry Turkle äußert die Befürchtung, dass dank der guten Illusion von Robotern und virtuellen Welten die Idee des Originals verloren geht. Einerseits besteht so die Gefahr Reales, Originales nicht mehr wert zu schätzen. In einer Welt, in der mehr und mehr Natur, Kulturgüter und Tierarten unwiederbringlich verloren gehen, kann es uns aber helfen die Eindrücke dessen zu bewahren. Jede neue Technik birgt auch Gefahren, doch sollten wir dabei nicht die Chances außer Acht lassen. So können die Simulacra von Computerspielen Menschen helfen Selbstbewusstsein zu gewinnen, dass sie „offline“ bis dato nicht besitzen und so eine positive Entwicklung zu erfahren. Es ist nicht zuletzt die Aufgabe von Designern die Entwicklung dieser verschwindenden Grenzen von Realität und Repräsentation positiv zu beeinflussen, so dass wir die reale Welt nicht völlig aus den Augen verlieren, uns aber auch vor neuen Medien nicht verschließen.

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